Dienstag, 6. Februar 2007

Bali

anna-002

In der glühenden Spätnachmittagshitze hängt eine beladene Wäscheleine schwer zwischen zwei Balken.
An ihr befestigt sind blassbunte Fetzen, rot, grün, blau und gelb, ausgeblichen von der Sonne.
Sie sind noch ganz nass, erahnbar die Mühe der Waschfrau, die Erde, das Land aus den Fasern zu scheuern.
Sie sind so feucht, dass sich dicke blaue Tropfen ablösen und ganz langsam, im Zeitlupentempo, zu Boden fallen.
Wer genau hinsieht, erkennt für einen Moment, dass sie nicht leer sind, sie sind auch nicht durchsichtig, sondern braun, grau und bunt.
In ihnen spiegelt sich etwas, ein schmutziger kleiner Junge, eine einsame Straße, Exotik, Armut, Verzweiflung, Schönheit.
Sobald sie den Boden berühren, verschmelzen sie mit dem Staub, verdunsten, verdampfen, und verlieren sich so in der heißen Welt.

Geschichtchen

anna-004

Es war einmal ein Sommerhaus,
die Menschen gingen ein und aus,
das Sommerhaus blieb stehen
und konnt’ sie nicht verstehen.

Das Sommerhaus war überfragt,
die Türe klappt’ den ganzen Tag,
und ständig quietschten Reifen,
das Haus konnt’s nicht begreifen.

„Warum“, fragt’ es sich sorgenfrei,
„eilen sie so an mir vorbei,
die Männer und die Frauen?
Ich würd’s so gern durchschauen.

Im Urlaub ruht man sich doch aus,
und trotzdem flitzen sie hinaus.
Sie können es nicht lassen –
ich kann es nicht erfassen.“

Und heute steht’s noch immer dort,
und kennt noch keinen andren Ort,
ist glücklich, wo es steht,
und der Mensch? Kommt und geht.

Fundstück

anna-007

Als ein Student abends spät aus seiner letzten Vorlesung kam, war es stockfinster, und dennoch war ihm, als sähe er in der Ferne etwas leuchten.

Er bewegte sich ein Stückchen in die Richtung, obwohl sie nicht auf seinem Wege lag – ja, da war etwas, und es leuchtete schwach in der Nacht.

Er trat näher, noch näher, und der kleine Fleck glitzerte und funkelte, und er ging auf ihn zu, bis er direkt vor ihm stand. Es war ein Pfennig.

„Ich bin nicht nur ein Pfennig“, sagte der Pfennig, „ich bin das wahre Glück.“ – „Darf ich dich mitnehmen?“ fragte der Student. – „Ja, das darfst du.

Doch wenn du mich mitnimmst, wirst du nicht nur etwas bekommen. Du wirst auch etwas verlieren:

Du wirst nicht reich und erfolgreich sein in einer großen Firma, aber glücklich in einer kleinen, und alle deine Arbeitskollegen werden deine Arbeit bewundern und schätzen.

Du wirst die Bekanntschaft vieler schöner und interessanter Frauen nicht machen, doch du wirst bald deine große Liebe kennen lernen, sie heiraten und mit ihr sehr glücklich sein.

Und wirst niemals die ganze Welt bereisen, doch du wirst viele verschiedene Menschen treffen, von überall her, dich mit ihnen anfreunden und die Welt durch ihre Augen sehen.“

Der Student ließ den Pfennig liegen und ging seines Weges.

Leider

anna-003

Leider habe ich im Fenster dort ein Farbenspiel gesehen,
sah es tanzen in der Sonne, blendend, bunt, es war so schön.
Wie gefesselt stand ich vor ihm, sah es tanzen, froh und frei,
wollt’ es haben, nach ihm greifen, noch ein Blick, es war vorbei.

Leider habe ich im Regen dort den Blitz entstehen sehn,
hört’ ihn krachen in der Stille, Energie, es war so schön.
Wie gefesselt stand ich vor ihm, sah den leuchtend hellen Schein,
wollt’ ihn haben, ihn besitzen, noch ein Blick, und er schlug ein.

Leider hab ich dort am Himmel eine Sternschnuppe gesehen,
sah sie glänzen, in der Dunkelheit ein Licht, es war so schön.
Wie gefesselt stand ich vor ihr, sah sie fliegen, froh und frei,
wollt’ sie haben, mir was wünschen, noch ein Blick, sie war vorbei.

Nachts im Winter

anna-005

Wenn es Nacht wird, wenn wir schlafen,
Menschenleere auf den Straßen,
wenn nur blass das Sternenzelt
zu Eis gefrornen Teer erhellt,
und der Wind pfeift um die Ecken,
fragt er sich in seinen Decken
fröstelnd, halb im Schlaf, benommen:
„Wird ein neuer Frühling kommen?“

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